Hanoi
ist ein Nachzügler. Verglichen mit anderen südasiatischen
Hauptstädten wie Bangkok, Singapur oder Kuala Lumpur, die sich in
den letzten zehn Jahren in atemberaubenden Tempo zu modernen Metropolen
westlicher Prägung entwickelt haben, erscheint die Hauptstadt im
Norden des Landes geradezu provinziell. Über hundert Jahre alte
Kolonialgebäude, die anstatt von Mörtel nur von Sand, Kalk und
Zuckersirup zusammengehalten werden, und nicht futuristische
Bürohäuser bestimmen das Bild der Innenstadt. Sehr interessant
ist die Aufteilung der verschiedenen Gewerke in den Straßen der
Altstadt. Während man in einer Straße nur Bambusleitern
und sonstige Bambusprodukte erhält werden in einer anderen nur
Eisen-, Lederwaren, Seide oder Gewürze und Kräuter verkauft.
Besonders ungewöhnlich ist der für westliche Verhältnisse
völlig ungewohnt chaotische Verkehr, der selbst in anderen
asiatischen Städten seines gleichen sucht. Während der
Rush-Hour schlängeln sich Tausende von Mopeds hupend durch die
engen Straßen der Altstadt und zwar in einer Art und Weise das
keinerlei System erkennen läßt. Zu dieser Zeit ist es
für größere PKWs nicht mehr möglich sich in diesem
Gewirr fortzubewegen. Als Fußgänger überquert man die
Straßen dann möglichst ohne Hast und ohne eine hektische
Bewegung um für die Zweiradfahrer berechenbar zu bleiben. Das
verlangt zu Anfang ein wenig Überwindung, aber es ist
die
einzige Möglichkeit die Straße zu überqueren. Doch
trotz dieser Verkehrsverhältnisse strahlt Hanoi eine angenehme Ruhe
aus, wirkt altmodisch und liebenswert. Am Abend treffen sich
Liebespaare in den Parkanlagen rund um den Hoan Kiem See südlich
der Altstadt. Der See spielt eine entscheidende Rolle in der Geschichte
des Landes. Eine Legende erzählt die Geschichte von Le Loi der, im
Kampf gegen die chinesischen Ming Besatzer ein magisches Schwert von
einer goldenen Schildkröte erhielt als er mit einem
kleinen Boot über den See ruderte. Dies ist unter anderem auch eine
der Geschichten die in den täglichen Vorführungen des
Wasserpuppen-Theaters dargestellt wird. Während in den
Straßen der Altstadt vom real existierenden Sozialismus nichts zu
spüren ist, gerät man beim Besuch des Ho-Chi-Minh Mausoleums
erstmals in die Zwänge der politischen Gesinnung. Das anstehen in
einer ordentlichen Zweierreihe in einer fast endlosen Menschenschlange
die sich tagtäglich durch die Grabstätte des berühmten
ehemaligen Staatsoberhauptes schiebt erinnert stark an den Besuch bei
den baulich nicht gerade unähnlichen Mausoleum vom Mao Zedong in
der chinesischen Hauptstadt Peking.
Mit
dem Zug begeben wir uns in einer zehnstündigen Bahnfahrt an die
etwa 300 km nördlich von Hanoi gelegene Grenzstadt Lao Cai. Von
hier aus sind es noch einmal rund zwei Stunden Fahrt in einem Minibus
nach Sa Pa. Der 1600 m hoch gelegene Ort zu Füßen des Phan Si
Pan, des höchsten Berges Vietnams, wurde zu Beginn der 20er Jahre
von den französischen Kolonialherren zum Höhenkurort
ausgebaut, doch die miserablen Straßenverhältnisse
ließen den Traum der Franzosen nie war werden. Erst Mitte der 90er
Jahre erlangt der Ort die Bedeutung den sich seine Erbauer einst
erhofft hatten. Hauptattraktion ist der Markt, an dem sich die
Angehörigen
zahlreicher Bergvölker aus der Umgebung einfinden. Dazu
zählen überwiegen die kleinwüchsigen Black Hmong in ihren
tiefblauen, mit Indigo eingefärbten Gewändern und die Roten
Zao mit ihren turbanähnlichen Kopfbedeckungen. Diese
Bergvölker unterscheiden sich ethnisch grundlegend von den
Vietnamesen und sprechen sogar ihre eigene Sprache. Sa Pa gilt auch als
Ausgangspunkt zahlreicher Trekking Touren in die alpine Landschaft. Das
Programm reicht von kleinen Wanderungen in näherer Umgebung bis hin
zu Mehrtagestouren mit Besteigung des Phan Si Pan. Da wir leider etwas
zu wenig Zeit für diese wunderschöne Gegend eingeplant haben
begeben wir uns nur auf eine Halbtagestour hinunter zum Cat Cat
Wasserfall.
Kaum
zurück in Hanoi geht es weiter an die Küste im Golf von
Tonkin. Das Wetter in Nordvietnam ist im März nicht gerade sehr
beständig. In dieser Vor-Monsun-Zeit wird das Wetter oftmals
tagelang von feinem Nieselregen bestimmt. Aber gerade dieser Umstand
läßt die über 3000 wie mystische Wesen aus dem Meer
aufsteigenden Kalksteinfelsen der Ha Long Bucht noch geheimnisvoller
erscheinen. Eine Legende erzählt von einem „herabsteigenden
Drachen“ der mit wütenden Peitschenhieben seines gewaltigen
Schwanzes die Feinde aus dem Norden zermalmte und dabei tiefen Kerben
und Scharten in der Landschaft riß. Als sein gewaltiger Leib im
Meer versank, verdrängte er
so
viel Wasser, daß die Täler und Schluchten überflutet
wurden und seitdem nur noch die zerklüfteten Gipfel zu sehen sind.
Aufgrund der vorherrschenden Gesteinsart ist das Gebiet mit Tausenden
Höhlen jeglicher Form und Größe überzogen, von
denen viele bis Heute noch nicht entdeckt und vollständig erforscht
wurden. Viele dieser effektvoll beleuchteten Höhlen in diesem
Labyrinth der Kalksteinfelsen werden täglich von den zahlreichen
Ausflugsbooten angelaufen. Ziel dieses Ausflugsboote ist zumeist die
größte Insel Cat Ba. Hier bieten sich dann zahlreiche
Wandermöglichkeiten. Eine gute Grundkondition sollte man dabei
jedoch mitbringen und keine allzu gut ausgebauten Pfade erwarten.
Der Nachtzug bringt uns schließlich in die alte Kaiserstadt Hue.
Traditionell galt Hue als eines der kulturellen, religiösen und
intellektuellen Zentren Vietnams. Heute besucht man die Stadt in erster
Line aufgrund der Hinterlassenschaften aus der Kaiserzeit. Der alte
Stadtkern besteht in erster Linie aus der Zitadelle, eine von 6 m hohen
Mauern umgebene Anlage aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts. Innerhalb
der Zitadelle befindet sich die
Verbotenene Purpur-Stadt, die Privatresidenz des Kaisers.
Über das Mittagstor betreten wir das Pendant zur Verbotenen Stadt
in Peking. Nur wenige Gebäude im inneren haben die schweren
Luftangriffe der Amerikaner schadlos überstanden. Der
größte Teil der Anlage wurde dabei dem Erboden gleich
gemacht. Die Fahrt mit einem Drachenboot führt uns
flußaufwärts des Parfüm-Flusses zur
siebenstöckigen Thien Mu Pagode. Der 21 m hohe, achteckige Turm
gilt als inoffizielles Wahrzeichen der Stadt.
Noch weiter flußaufwärts
befinden sich die Grabanlagen der Kaiser der Nguyen Dynastie. Wir
besuchen unter anderen die Gräber von Tu Duc und Min Mang. Bei den
Grabanlagen handelt es sich um riesige Parkanlagen in denen die Kaiser
schon zu Lebzeiten viel Zeit verbrachten. Ein Tagesausflug bringt uns
zu den Wirkungsstätten der jüngsten finsteren Geschichte des
Landes. Im Bereich der DMZ (Demilitarized Zone) fanden die meisten
Kampfhandlungen während des Vietnam-Krieges statt. Die DMZ
verläuft entlang des 16. Breitengrades und stellt einen 5 km
breiten Streifen entlang der ehemaligen Grenze zwischen Nord-
und Südvietnam dar. Wir besuchen unter anderem den stark
umkämpften amerikanischen Stützpunkt Khe Sanh, Teile des
Ho-Chi-Minh-Pfades, der mitten durch den Dschungel als Nachschubsweg der
kommunistischen Truppen aus dem Norden zu den Vietcong im Süden
des Landes diente. Dieser verborgene Pfad war unter anderem einer der
Gründe für die extremen Entlaubungs-Aktionen denen
große Teile Südvietnams zum Opfer fielen. An den Folgen des
Einsatzes der dioxinhaltigen Chemikalie Agent-Orange leiden noch heute
viele Menschen. Zum Schutz gegen die Flächenbombardement gruben die
Vietnamesen, zum Teil mit bloßen Händen, gewaltige
Tunnelanlagen unter die Erdoberfläche. Im 2,5 km langen
Tunnelsystem von Vinh Moc verharrten die Einwohner monatelang unter
Tage.
Der Wolkenpass stellt die Klimagrenze und Wetterscheide zwischen dem
subtropischen Norden und tropischen Süden Vietnams dar. Mit einem
Mietwagen inclusive Fahrer, übrigens die einzig mögliche Art
in Vietnam ein Auto zu mieten, machen wir uns auf den Weg dorthin. Kurz vor dem
Wolkenpass machen wir Halt am wunderschönen, kilometerlangen und
menschenleeren Lang Co Beach. Südlich vom Wolkenpaß
besuchen wir noch die Marble-Mountains, 5 imposante bis zu 100 m hohe bewaldete
Felskegel in der Nähe von Da Nang. Das meißeln der
Stuckateure schallt bis hinauf zu den Gipfeln der Marmorberge.
Wir erreichen das kleine Städtchen Hoi An am Südufer des
Flusses Thu-Bon. Hoi An galt während des 16. bis 18. Jahrhundert zu
den führenden Häfen Südostasiens und wurde in einem
Atemzug mit Malacca und Macau genannt. Chinesische und japanische
Kaufleute ließen sich hier nieder und gründeten
Handelsniederlassungen. Heute wirkt Hoi An so als sei irgendwann vor 150
Jahren die Zeit stehengeblieben. Die romantischen Gassen werden
bevölkert von zahlreichen Kunsthandwerkern. Besonders idyllisch
sind die alten Holzhäuser aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Entscheidend beim Bau von
Häusern
dieser Art war, den drei wichtigsten Elementen im chinesischen Leben
den ihren gebührenden Raum zu schaffen, der Ahnenverehrung, dem
Geschäft und dem Familienleben, und zwar in dieser Reihenfolge.
Die Häuser wurden von innen nach außen gebaut, zuerst kamen
die Säulen, dann wurde der Dachfirst errichtet und zum
Schluß wurde das Ziegeldach fertiggestellt. Die eindrucksvolle
Japanische Brücke über einen Seitenarm des Thu-Bon Flusses
aus dem Jahre 1593 ist heute das Wahrzeichen des kleinen
Städtchens. Eine Bootstour flußaufwärts des Thu-Bon
Flusses zeigt das Leben der Fischer abseits des Handelszentrums.
Danach begann für uns der anstrengenste Teil unserer Reise. 14
schlaflose Stunden in einem Open-Tour Nacht-Bus über die holprige
Nationalstraße 1 in Richtung Nha Trang zehrte an unseren
Kräften. Die gesamte Nationalstrasse 1 von Hanoi bis Saigon gleicht
einer einzigen Baustelle. Alle paar Kilometer in denen zwei Baustellen
aufeinandertreffen entsteht ein Absatz von mehreren Zentimetern in der
Asphaltdecke was dazu führt das die Busfahrer eine Vollbremsung
durchführen. Eingezwängt in den Sitzen mit wenig Beinfreiheit
und dem Gepäck der Mitreisenden wird man dabei zunächst nach
vorne geschleudert
bevor
einem das Gepäck in den Nacken fällt. Alles in allem trafen
wir in Nha Trang die unwiderrufliche Entscheidung: „Nie wieder
Open-Tour“. Obwohl wir im nachhinein feststellen mußten,
daß die Busse des größten Unternehmens Sinh Cafe noch
die Luxusvariante darstellten. Der erste Weg in Nha Trang führt
uns zur Rainbow-Bar, zum Anlaufpunkt der Rainbow-Divers, der wohl
anerkannt besten Tauchbasis der Stadt. Unter der Leitung des britischen
PADI Course Director Jeremy Stein finden tägliche
Tauch-Exkursionen zu den vorgelagerten Inseln statt. In kleinen Gruppen
mit maximal 4
Personen geht es hinab in die Unterwasserwelt des Chinesischen Meeres.
Wer hat ihn nicht schon einmal gehört, den Werbespruch „Cola and
Beer flavoured with Dragonfruit“ und sich gefragt was den eigentlich
hinter dieser mystischen Drachenfrucht steckt. Bei einem Besuch auf dem
Marktplatz erspähen wir die exotische Frucht die in der Umgebung
von Nha Trang heimisch ist. Die Frucht, die in etwa die
Größe einer Ananas und eine pinkfarbige Schale besitzt
wächst auf einer art kriechendem Kaktus, der angeblich wie ein
grüner Drachen aussieht. Das weiße Fruchtfleisch, das mit
vielen kleinen schwarzen Kernen
gespickt
ist, weist einen leicht säuerlichen Geschmack auf, und kann seine
entfernte Verwandtschaft zur Kiwi nicht verleugnen. Die Cham und die
Khmer beherrschten einst mehr als die Hälfte des vietnamesischen
Territoriums. Neben dem Zentrum im weiter nördlich gelegenen My
Son errichteten die Cham zahlreiche Tempelanlagen im ganzen Land. Ein
solches Relikt aus dem 7. bis 12. Jahrhundert sind die Türme von
Po Nagar hier in Nha Trang.
Die ehemalige Hauptstadt von Südvietnam Saigon wurde gleich nach
der Übernahme durch die Nordvietnamesen als Zeichen der
Demütigung in Ho-Chi-Minh City umbenannt. Da die Stadt unter den
Einheimischen weiterhin Saigon genannt wird möchte ich mich im
weiteren daran anschließen. Die Stadt am Westufer des Saigon
Rivers galt bis vor einigen Jahren noch als Stadt der Cyclos, den
dreirädrigen Fahrrad Rikschas. Heute sind sie jedoch nach einem
Beschluß der Stadtverwaltung aus dem Jahre 1996 zum Aussterben
verurteilt. Neben vergnüglichen Spazierfahrten für Touristen
verdienen die Cyclo-Fahrer ihren Lebensunterhalt mit Transporten aller
Art als "Lastkraft-Cyclo". Saigon wirkt mit seinem quirligen Leben
wesentlich hektischer als das verträumte Hanoi im Norden des
Landes und ist eher mit anderen südostasiatischen
Großstädten wie Bangkok und Jakarta
zu
vergleichen. Seinen historischen Stadtkern verdankt Saigon der
französischen Kolonialzeit. Noch heute ist der ehemals westliche
Einfluß der europäischen und amerikanischen Mächte
unverkennbar. Mit Ausnahme einiger schöner Pagoden hat die Stadt
jedoch keine spektakulären Sehenswürdigkeiten zu bieten. Als
Touristenziel anziehend ist Saigon jedoch als Ausgangspunkt zu
Ausflügen in die näher Umgebung wie z.B. das etwa 250 km
umfassende Tunnelsystem von Cu Chi. Die Tunnels die bis an die
kambodschanische Grenze reichen gestatteten dem Vietcong ein
ländlichen Gebiet zu kontrollieren, das nur 30 km von der
amerikanischen Hochburg Saigon entfernt lag.
Ein Tagesausflug bringt uns in das Mündungsdelta des Mekongs. Von
seiner Quelle in Tibet legt er über China, Burma, Laos, Thailand
und Kambodscha eine Strecke von über 4000 km Länge
zurück, ehe er im Süden von Vietnam ins Meer mündet. Das
Mekong Delta ist heute die Reiskammer des Landes. Während der Zeit
des strengen Sozialismus produzierten die Bauern im Delta gerade genug
für ihren Eigenbedarf und machten sich nicht die Mühe die
Ernte auf den Markt zu bringen. Nachdem im Jahre 1986 eine
Reprivatisierung der Landwirtschaft eingeleitet wurde, verbesserten
sich die Erträge Jahr für Jahr. Inzwischen ist Vietnam nach
Thailand der zweitgrößte Reisexporteur der Welt.
Zum Abschluß unserer Reise verbringen wir noch ein paar Tage auf
der Insel Phu Quoc, der einzige Ort Vietnams mit einem nach Westen
ausgerichteten Strand wo die Sonne am Abend im Meer versinkt.
Phu Quoc ist bekannt für die Fabrikation der überall im Land
äußerst begehrten Fischsoße „nuoc mam“. Sie darf in
keinem echt vietnamesischen Gericht fehlen. Die stark salzhaltige und
ziemlich übelriechende Soße aus fermentierten Fisch wird
zwar vom europäischen Gaumen nicht gerade als Delikatesse
betrachtet, schmeckt aber immerhin nicht so schlecht wie es der Geruch
vermittelt.
Nach einem vierwöchigen Aufenthalt in einem
außergewöhnlichen Land kehren wir zurück mit der
Erkenntnis Menschen kennengelernt zu haben die sich nicht ihrem
Schicksal ergeben und lächelnd ihrer Zukunft entgegenblicken.